Zugang zu Gerichtsentscheidungen: Auch bei nicht rechtskräftigen Urteilen kann ein Anspruch der Presse auf Zugang zu anonymisierten Gerichtsentscheidungen bestehen (BVerfG: 1 BvR 857/15)
Ein Verlag wollte den Zugang zu einer Gerichtsentscheidung bezüglich eines anonymisierten Strafurteils des Landgerichts gegen den ehemaligen Innenminister eines Bundeslandes wegen Bestechungsdelikten. Das Verwaltungsgericht hatte den Landgerichtspräsidenten zur Herausgabe der anonymisierten Urteilskopie verpflichtet, während das Oberverwaltungsgericht den Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts im Beschwerdeverfahren im Sinne des § 146 VwGO abänderte. Das Bundesverfassungsgericht hob den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts wegen der sich aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ergebenden Pressefreiheit auf.
Grundrechte sind zwar grundsätzlich klassische Abwehrrechte gegen den Staat, jedoch können sie ausnahmsweise auch als originäre bzw. derivative Leistungsrechte wirken. Soweit einfachgesetzliche Normen wie § 4 eines Landespressegesetzes auf Tatbestands- oder Rechtsfolgenseite verfassungskonform auslegbar sind, ist die einfachgesetzliche Regelung gegenüber der direkten Anwendung der Grundrechte als Anspruchsgrundlage vorrangig. Subsidiär können Grundrechte auch direkt als Anspruchsgrundlage im Verwaltungsrecht anwendbar sein – derivativ als Teilhaberecht oder originär.
Soweit es um Gerichtsentscheidungen geht, kann das öffentlich-rechtsstaatliche Interesse zudem derart ausgeprägt sein, dass ein Anspruch auf Zugang zu nicht rechtskräftigen Entscheidungen besteht.